Kling, Glöckchen, kling!
So wie die Transhumanz, wäre auch der Sommer auf der Alm weitaus weniger idyllisch ohne die lieblich klingenden Kuhschellen. Verschiedene Modelle kommen zum Einsatz. Neben den typischen Schellen für die Weide gibt es Schellen mit reichlich Verzierungen für besondere Anlässe wie Ausstellungen, Hochzeiten oder Jubiläen. Es handelt sich um seltene Stücke, auf die leidenschaftliche Sammler besonders stolz sind. Alain Gamper, Hirte und Schellenhersteller aus St. Nikolaus im Ultental, erzählt uns von seinem Handwerk.
Seit einigen Jahren stellen Sie Schellen her: eine Familien-Tradition?
Nein, ich habe mir das selbst beigebracht. Die renommierten Schellenschmieden teilen selten ihre Geheimnisse. Ich bin zwar gelernter Schmied, aber anfangs war es trotzdem nicht leicht. Meine ersten Versuche waren katastrophal. Aber die Leidenschaft hat gesiegt, meine Ergebnisse wurden immer besser und heute schmiede ich sogar Schellen auf Bestellung sowie für Ausstellungen.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Seit ich als Hirte arbeite, ist mir bewusst, wie wichtig es ist, die Kühe an den Schellenklängen wiederzuerkennen, wenn sie außer Sichtweite sind. So weiß ich immer, wo sie sich aufhalten und was sie machen – auch dann, wenn es neblig ist. Vor allem aber spare ich mir dadurch lange Wegstrecken, denn das Weidegebiet ist riesig. Der Leitkuh sowie jenen Kühen, die sich häufig von der Gruppe entfernen, werden spezielle Schellen umgehängt.
Was macht den besonderen Klang einer Schelle aus?
Die handgefertigten Schellen, die ich und ein paar andere Südtiroler Handwerker produzieren, sind Einzelstücke. Ihr Klang trägt die Handschrift des Herstellers. Was den Ton heller oder dunkler macht, sind die Härte sowie die Dicke des Metallblechs, aus dem sie erzeugt werden. Auch die Qualität und Quantität der Legierung, die beim Löten verwendet wird, sind ausschlaggebend. Ich schmiede sowohl Schellen aus Edelstahl, gelötet mit Silberlot, als auch Schellen aus Stahl, die mit Messing überzogen werden.
Spielt auch die Form eine Rolle?
Natürlich! Es gibt flache, rundliche und halbrunde Modelle. Die letztgenannten klingen meiner Meinung nach am besten. Allgemein ist es wichtig, dass der Klang klar, harmonisch, voll und auch bei weiter Entfernung gut zu hören ist.
Wie sieht der Herstellungsprozess aus?
In Tirol werden die Schellen aus einem Stück gefertigt. In der Schweiz hingegen werden zwei Hälften zusammengeschweißt. Die Tiroler Schellen wiegen daher bei gleicher Größe weniger. Dieser Aspekt ist nicht zu vernachlässigen, schließlich werden sie von den Tieren monatelang um den Hals getragen. Als Erstes wird das Metallblech je nach Größe und Gestalt der Schelle zugeschnitten. Anschließend wird das Blech mithilfe eines Ambosses und eines Hammers in Form gebracht. Die beiden Seiten werden so vernietet, dass möglichst wenig Luft durch eventuelle Spalten dringen kann. Als nächstes werden zwei Löcher gemacht, um die Aufhängung (Hiag) für den Klöppel (Klachl) und den Riemen anzubringen. Beim Löten fügt der Schmied dann Applikationen hinzu. Dieses Lot hat einen niedrigeren Schmelzpunkt als das Blech, so dass sich Letzteres nur erhitzt, ohne zu schmelzen. Damit der Klang überhaupt entstehen kann, werden beim Löten die vorhandenen Löcher luftdicht versiegelt. Anschließend muss die Schelle noch mit speziellen Bürsten und Lösungen geputzt und poliert werden, da durch die Lötung dunkle Verfärbungen entstanden sind. Zum Abschluss erfolgt der entscheidende Schritt: das Stimmen der Schelle.
Das klingt so, als würde die Schelle singen …
Genau das tut sie auch. Die Schelle hat eine Maulöffnung und einen Hohlraum. Der Ton wird angepasst, indem die Krümmung verändert wird. Die Lippen oder der Bauch werden etwas nach außen oder innen gebogen – in etwa wie wir den Mund öffnen, um ein helleres „A“ oder ein dunkleres „O“ zu formen. Außerdem hat jede Schelle ihre eigene Stimme, genauso wie wir Menschen. Man muss sie daher mit viel Feingefühl auswählen, um auf der Weide einen angenehm harmonischen und einzigartigen Gesamtklang zu erzeugen.
Den Kühen Anfang des Sommers ihre Schellen zuzuweisen, ist wie das Dirigieren eines Orchesters: Der Charakter und die Veranlagung des Tieres bestimmen, welches „Instrument“ es jeweils erhält. Zudem variieren nicht nur die Herstellungstechniken der Schellen, sondern auch ihre Klänge von Region zu Region – genau wie Dialekte. Was in einem Gebiet typisch ist und dort als bester Klang gilt, muss den Einheimischen eines anderen Ortes nicht unbedingt gefallen.