Klar, kühl, kostbar

Nicht weit von der Südtiroler Grenze entfernt, befindet sich ein Tal, das sich seine ursprüngliche Schönheit bewahrt hat und seine Besucher in eine Welt der Naturwunder führt. Vor allem die Kraft und Wirkung des Wassers spielen im Defereggental eine große Rolle, denn die Heilquelle, die in Osttirol entspringt, gilt als besonders wirksam. Begleiten Sie uns auf eine Reise ins „Tal des Wassers“.
Eine kurze Fahrt über den Staller Sattel und man passiert nicht nur eine atemberaubende Panoramastraße, sondern überquert auch die Grenze zwischen Italien und Österreich. Hinter dieser Grenze eröffnet sich eines der ursprünglichsten Täler Österreichs. Dies hat, wenn man der alten Legende glauben schenken mag, wohl auch mit dem Schutz der Schnabelmenschen zu tun. Laut dieser Legende verhelfen diese den Defereggern zu ihren Wasserquellen und dem Gebiet so zur Bezeichnung „Tal des Wassers“. In der Realität wurde in St. Jakob vor rund 20 Jahren nach Thermalwasser gebohrt und man stieß auf die fossile Quelle, das Deferegger Heilwasser, das heute neben der sattgrünen Landschaft einer der größten Schätze des Defereggentals darstellt. Aus rund 1850 m Tiefe wird das Wasser hervorgeholt. Dieses dient der äußeren Anwendung und gilt als besonders wirksam gegen Beschwerden wie rheumatische und orthopädische Erkrankungen, dermatologische Probleme wie Schuppenflechte, Neurodermitis sowie akute und chronische Erkrankungen der Atemwege und Nasennebenhöhlen. So zeigte eine wissenschaftliche Studie von Univ.-Prof. Dr. Peter Lechleitner und Dr. Widemair, dass bei Zugabe von rund 3-5 l des Heilwassers in einem regelmäßig durchgeführten Wannenbad bereits deutliche Veränderungen zu beobachten sind: „Die Gefäßfunktion verbessert sich, der Blutdruck sinkt, die Stimmung hebt sich, der Schlaf wird besser und insgesamt fühlten sich die Probanden wesentlich erholter“, so Dr. Widemair.
Besonders wirksam ist das älteste Heilwasser der Welt aufgrund seines hohen Anteils und Gemischs an Mineralien und Spurenelementen. Tief unter der Erde konnte diese Quelle mindestens 600.000 Jahre lang zu dem werden, was sie heute ist: salziges Thermalwasser, das schon in geringen Mengen eine äußerst starke Wirkung zeigt. Nur selten werden fossile Quellen für therapeutische Zwecke genutzt, das liegt wohl mitunter an den strengen Vorschriften, die mit der Reinheit, der nachgewiesenen Wirksamkeit und der sorgfältigen Auswahl der Anwendungsgebiete einhergehen. Im Sommer bietet der Ort der Quelle, die Heilwasserwelt in St. Jakob, wunderbare Möglichkeiten zum Wandern entlang des Wassererlebnisweges. Außerdem kann man hier die Natur bestens genießen, sich ausruhen und kneippen, an manchen Tagen sogar im Heilwasser. Heilwasserbäder sind in ausgewählten Betrieben ganzjährig möglich.

Aber das Heilwasser ist erst der Anfang der Deferegger Geschichte, denn in dieser Gegend plätschert, tropft, strömt, gurgelt und rinnt es von allen Seiten. Sowohl die symbolische als auch die physikalische Kraft des feuchten Elements treffen hier aufeinander und formen sich zu den schönsten Spektakeln. Vom Gletscher oder den Quellen ergießt sich das Wasser in einen Gebirgsfluss, läuft durch den Hochgebirgssee weiter abwärts, überwindet mit tosenden Wasserfällen selbst die höchsten Felsen und fließt schließlich seidig und klar durch das Tal.
Im Defereggental wird die philosophische Flusslehre greif- und spürbar, denn das Wasser nährt und entspannt nicht nur, sondern befindet sich – genau wie der Mensch – im ständigen Wandel und zeigt die wahre Kraft des Lebens im glänzenden Spiegel seiner Oberfläche.
„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“
– Heraklit
Die Legende der Schnabelmenschen
Die Menschen im Defereggental, ob jung, ob alt, wissen um die Legende der riesigen Schnabelmenschen, die einst im Tal weilten. Geheimnisvolle Kreaturen waren sie, Beschützer des Tales seit Anbeginn der Zeit. Mit ihren mächtigen, klappernden Schnäbeln verzehrten sie Salzstücke und manchmal teilten sie ihre kostbaren Salzsteine mit den Einheimischen.
In diesen frühen Tagen stand das Tal durch die Anwesenheit der Schnabelmenschen unter deren Schutz und Segen. Einem Glückstal gleich gediehen die Ernten, alles Vieh blieb gesund und gab reichlich Milch, Unwetter zogen stets über die angrenzenden Berggipfel vorbei, und die Einheimischen lebten in Eintracht und großer Zufriedenheit. Allerdings war die Zuwendung der Schnabelmenschen seit jeher an eine Bedingung geknüpft: Niemand durfte das Tal verlassen, und fremden Reisenden blieb es verwehrt. Einem verschlossenen Paradies gleich lag es abgelegen und bildete eine Welt im Kleinen, die für die ihren sorgte.

Eines Tages allerdings sammelte sich in einer Mulde oberhalb der Jagdhausalm eine Quelle. Diese nahm die rundliche Form eines Pfauenauges an und wurde aufgrund ihrer außergewöhnlichen Pracht ein mystischer Ort und zu einem Botschafter der Ferne, der das Fernweh in das Defereggental einsickern ließ. Es dauerte nicht mehr lange, da regte sich unter den Jungen die Neugierde, über das Tal hinauszuwandern und fremde Länder aufzusuchen. Die Schnabelmenschen brachten aber all diese Versuche zum Scheitern und so musste man sie wohl mit einer List dazu bringen, das Tal zu öffnen. Ein gewitzter Bursche forderte sie zu einem Wettkampf heraus. Er behauptete, seinen Hut weiter werfen zu können als die riesigen Schnabelmenschen die ihren. So lange reizte er sie durch seine Prahlereien, dass die Riesen im Wettkampf ihre Hüte wie Wurfgeschosse Richtung Berge warfen. Dabei köpften aber einige der gewaltigen Kopfbedeckungen mit ihren scharfen Krempen die Berggipfel, die vorher das Tal rundum abgeschottet hatten und bildeten den heutigen Staller Sattel. Viele der Einheimischen zogen nun über die neuen Gebirgssättel mit Schätzen und Tauschwaren hinaus.

Den Schutz und die Zuneigung der Schabelmenschen hatte man aber auf diese Weise verspielt. Der Preis für die Öffnung des Glückstales musste bezahlt werden mit harter Hände Arbeit und einem unablässigen Ringen um das tägliche Brot gegen die Kräfte der Natur. Die ausgezogenen Händler machten nach Jahren in der Fremde allerdings eine unerwartete Erfahrung. Wann immer sie draußen in der Ferne in ein ruhiges Wasser oder in einen Spiegel schauten, meinten sie Umrisse und Gestalten des Defereggen aufleuchten zu sehen. Fernweh und Heimweh zugleich prägten den Charakter der aufrechten Pioniere, als schlügen zwei Herzen in ihrer Brust. Viele Jahrzehnte später brachte eine Gruppe von Heimkehrern einen besonderen Fund mit, der in seinem Aussehen geheimnisvoll an die einstigen Herrscher des Tales erinnerte. Es handelte sich um eine übergroße „Schnabelflöte“. Niemand konnte dem seltsamen Instrument einen Ton entlocken, und so verankerte man das Rohrinstrument als Erinnerungsgebilde stehend in der Erde nahe dem Dorf St. Jakob. Als nun aber das erste Mal kräftig Wind aufkam, gab die Schnabelflöte wundersame Töne von sich. Geehrt durch die ihnen zugedachte Flöte versöhnten sich die Schnabelmenschen mit den Menschen aus dem Tal und erklärten, dass sie nun zurückkehrten in das große unterirdische Salzmeer, welches tief unter dem Defereggen versteckt liegt.

Als Zeichen der Verbundenheit und des Wohlwollens werden von nun an zahlreiche Quellen aus unterschiedlichen Tiefen die Welten oberhalb und unterhalb der Erde verbinden. Das kostbarste Wasser allerdings entspringt am Fuße der Schnabelflöte. Dies ist wohl die wertvollste aller Quellen, so salzig und rein wie das Urmeer selbst, aus dem sie entspringt. Bereits in einem Fingerhut davon steckt ein Übermaß an reinigender und heilsamer Kraft.