Hier will ich wohnen, hier will ich sein …
Wie ein wärmendes Mäntelchen legt sich die Sommersonne um meine Schultern. Die Plimaschlucht hinter mir, der Kaiserschmarrn gefühlt in greifbarer Nähe, stapfe ich Richtung Marteller Hütte. Je weiter ich steige, desto karger wird der Wald. Es riecht nach Stein und Moos und ein bisschen nach Schnee. Die Kiefern sind zu staudenartigen Bonsaigewächsen inmitten von blühendem Heidekraut mutiert.
Nach etwa einer Stunde habe ich ein beinahe göttliches Bild vor mir: die majestätischen Gipfel der Ortlergruppe – weiß, stolz und unnahbar wirken sie auf mich. Mitten in dieser Kulisse, auf 2585 m Höhe, glitzert ein klarer Bergsee. Dahinter liegt die Marteller Hütte. Das ist das Reich von Bruno Nardelli. Er ist hier Hüttenwirt. Der 46-Jährige wirkt freundlich, aber nicht aufgesetzt. Ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht. Kurz gesagt: ein Mann der Berge mit Blick für das Wesentliche.
Herr Nardelli, was hat Sie dazu bewogen, fernab der Zivilisation zu leben?
Mit 10 Jahren habe ich zum ersten Mal in einer Berghütte geschlafen. Ich weiß noch, wie ich die Familie, die die Hütte bewirtschaftete, um ihr Leben beneidet habe. Später hat sich meine Leidenschaft für die Berge weiterentwickelt. So ist auch der Wunsch entstanden, dort zu leben. Zuerst bin ich Bergführer geworden, dann habe ich meine erste Hütte gepachtet. Seitdem habe ich viel Erfahrung als Hüttenwirt gesammelt, und heute bin ich hier.
Wie lässt sich das mit Ihrem Familienleben vereinbaren?
Auch meine Frau liebt diesen Job. Meine beiden Kinder, 5 und 7 Jahre alt, sind es gewohnt, hier oben zu leben. Den Sommer über verbringen sie auf der Hütte. Im September kehren sie mit meiner Frau ins Tal zurück, um in die Schule zu gehen. Im Winter ist die Hütte zwar geschlossen, aber man muss immer wieder nach dem Rechten schauen, also müssen meine Frau und ich alle paar Tage hoch. Dann sind die Kinder bei den Großeltern.
Tut das gemeinsame Arbeiten und die kühle Luft Ihrer Beziehung gut?
Meine Frau Marialuigia sagt, dass unsere Ehe dreimal so viel zählt wie andere Ehen. Viele Paare sehen sich nur abends und am Wochenende für ein paar Stunden. Wir leben jeden Tag 24 Stunden zusammen. Manchmal streiten wir über Unwichtiges, aber bei ernsten Dingen sind wir uns immer einig. Wissen Sie, das Arbeiten in einer Schutzhütte ist wie auf einem Schiff: Keiner verlässt es einfach so.
Und die Zusammenarbeit mit dem Personal?
Die ist wesentlich intensiver als anderswo. Wir haben sechs Mitarbeiter, wir leben und arbeiten auf engem Raum, da muss die persönliche Ebene passen.
Hüttenwirt zu sein, ist eine sehr entbehrungsvolle und vielseitige Aufgabe. Muss man sich da zu helfen wissen?
Ja, man muss über viele technische Fähigkeiten verfügen, beispielsweise im Sanitär- oder Elektrobereich. Auch die Einkäufe müssen wetterabhängig ca. eine Woche im Voraus geplant werden. Da keine Straße hier hoch führt, werden sie mit einer 2200 m langen Seilbahn über 550 Höhenmeter transportiert. Wenn man etwas vergisst, kann es ziemlich kompliziert werden …
Die Marteller Hütte hat einen ziemlich guten Ruf. Warum, glauben Sie, ist das so?
Ausschlaggebend dafür ist der recht einfache Zugang: In zwei Stunden sind 500 Höhenmeter zu bewältigen. Der Weg ist also recht einfach und für ein sehr großes Wanderpublikum geeignet, und das, obwohl es die höchstgelegene Schutzhütte im Martelltal ist. Ein ideales Ziel, fast wie ein Gipfel (lacht).
Der Wirt einer Schutzhütte steht oft im Mittelpunkt, seine Persönlichkeit ist sehr wichtig. Empfinden Sie das auch so?
Das ist eine romantische Version, an die ich immer noch glaube. Aber in Wirklichkeit sieht das nur ein Teil der Gäste so. Für Bergsteiger, die über Nacht bleiben, um am nächsten Tag einen Gipfel zu erklimmen oder eine Tour im hochalpinen Gelände zu machen, gilt das mit Sicherheit. Sie verlassen sich auf meine Informationen und Ratschläge – und das macht mich sehr glücklich.